Heute gehen wir gemeinsam in den Wald oder auch, wenn du in einer Stadt wohnst, in einen Park.
Suche dir dort eine Stelle aus, an der es dir besonders gut gefällt.Vielleicht hast du auch einen Lieblingsbaum oder einen Ort, an dem du dich wohlfühlst. Dann geh dahin. Atme tief die Luft ein, öffne deine Ohren für diesen Ort … und dann kannst du ein kurzes Gebet sprechen und Gott für die wunderschöne Schöpfung danken, die er uns geschenkt hat.
Wenn du also dort richtig angekommen bist, dann versuche einmal all die Bäume zu zählen, die du um dich herum siehst. Da verlierst du schnell die Übersicht. Allein auf dem Foto, das ich in einem Park in Augsburg gemacht habe, komme ich auf 50 Bäume. Und das ist nur ein kleines Panorama.
Du kannst es auch im Wald probieren. Auch von dort habe ich dir ein Foto. Aber da sind es so viele Bäume, die kannst du gar nicht mehr richtig zählen.
Davon kommt auch die Redewendung: „Man sieht den Wald vor lauten Bäumen nicht“. Die hast du bestimmt schon mal gehört? Damit ist gemeint, etwas nicht finden oder sehen zu können, obwohl es doch unmittelbar vor Augen ist. Dahinter steckt auch eine Lebenserfahrung: Wir sind manchmal so abgelenkt, dass wir die wirklich wichtigen, die wirklich großen Dinge im Leben übersehen.
Fast wäre mir das mit einem ganz besonderen Baum auch einmal so passiert. Er steht mitten in einem Nationalpark, in der Sächsischen Schweiz. Zunächst bin ich einfach an ihm vorbeigelaufen. Aber dann habe ich noch einmal zurückgeschaut: Dieser Baum, eine Buche, ist ein uralter Riese!
Würde ich dort wohnen, er wäre wirklich mein absoluter Liebling. Wie alt er sein mag? Wie hoch? Wie umfangreich? Und erst recht: Was er wohl schon alles im Schatten seiner Blätter erlebt hat?
Und doch hätte ich diesen Baum fast übersehen. Er steht ja mitten im Wald, um ihn herum sind viele andere Bäume, die teilweise auch recht groß und alt sind. Vor lauter Bäumen hätte ich ihn wie in der Redewendung fast nicht gesehen.
An diesen Baum habe ich beim Blick auf die Lesungen des heutigen Sonntags sofort gedacht. Denn dort ist von Bescheidenheit und Demut die Rede:
„Mein Sohn, bei all deinem Tun bleibe bescheiden und du wirst geliebt werden von anerkannten Menschen! Je größer du bist, umso mehr demütige dich und zu wirst vor dem Herrn Gnade finden!“ (Sir 3,17)
Etwas weiter ist sogar vom Unglück des Hochmütigen die Rede, „denn eine Pflanze der Bosheit hat in ihm Wurzel geschlagen“ (Sir 3,28)
Schau dir mal die mächtigen Wurzeln dieser Buche an. Sie geben sogar anderen Bäumen Schutz und Halt! Da ist nichts von Bosheit zu sehen.
Aber was will uns diese Beobachtung sagen? Im Evangelium gibt es heute darauf die Antwort: Es ist nicht wichtig, im Leben den Ehrenplatz einzunehmen und immer ganz vorne zu stehen (vgl. LK 14,8).
„Denn wer sich selbst erhöht, wird erniedrigt, und wer sich selbst erniedrigt, wird erhöht werden.“ (LK 14, 13)
Das können wir vom Wald, von den Bäumen lernen. Jeder nimmt dort seine Aufgabe wahr, ohne sich aufzudrängen. Manches, was dort in aller Bescheidenheit klein wirkt, ist in Wirklichkeit so groß und alt wie diese Buche.
Ich lade dich dazu ein, dir im Wald oder anderswo in der Natur eine Stelle zu suchen, die dir besonders gut gefällt. Am besten eine „bescheidene“, weil du sie erst auf den zweiten Blick siehst.
Wenn du einen solchen Ort gefunden hast: Komm immer wieder zurück. Bleibe ruhig sitzen und danke Gott für die Schöpfung und für alles, was du aus ihr lernen kannst.
Zum Download: ABENTEUER AM SONNTAG 28. August 22 22. Sonntag im Jahreskreis
Text und Fotos : Karl-Georg Michel