Überall wo ich ging flatterten Schmetterlinge.
Zartgelbe Zitronenfalter, rotbraune und weiße, gemusterte und einfarbige. Aber Raupen habe ich diesmal nur an einer Stelle entdeckt. Ich saß am Sulzhau-Brünnele und überlegte, was das wohl ist auf der großen Brennnessel. Ich ging näher und sah, dass es eine Ansammlung schwarzer Raupen mit Haaren und Stacheln war, die schon einiges aufgefressen hatte von der Brennnessel. Es könnten die Raupen vom Tagpfauenauge sein, fand ich zuhause heraus. Viele Schmetterlinge und Falter brauchen für ihre Raupen ganz spezielle Futterpflanzen. Sie sind da wählerisch. Deshalb können sie auch nur dort weiterleben, wo es diese Pflanzen gibt, wenn sie Eier legen. Die Brennnessel mögen viele und manche können die Brennnessel auch als Notlösung brauchen.
Einmal ging ich in Ruhe in einem Gang im obersten Stock eines Klosters entlang. Da fiel mir aus dem geöffneten Dachfenster eine kleine, grüne Raupe vor die Füße. Sie lag da auf dem Fliesenboden und krümmte sich. Ich nahm ein Blatt Papier und wollte sie nach draußen bringen. Aber sie zappelte so herum, dass ich sie lieber auf meine Hand legte. Ich wollte sie in den Garten bringen, wo ich Brennnesseln gesehen hatte. Unterwegs tat meine Hand weh. Die kleine Raupe musste sehr hungrig sein. Sie hatte mir ein kleines Loch in die Hornhaut meiner Hand gebissen. Man konnte es sehen! Geblutet hat es nicht, weil Hornhaut ja dick ist. Verrückt, dachte ich. Jetzt werde ich zum Raupenfutter J. Lebensrettung ist selbst bei kleinen Raupen ein Risiko. Aber, wenn ich die vielen Schmetterlinge fliegen sehe, dann freue ich mich, dass ich der kleinen Raupe eine zweite Chance gegeben habe. Heute halte ich auch Ausschau nach Raupen und an welchen Pflanzen sie sind. Und ich habe einiges dazugelernt über die Zusammenhänge von Pflanzen und Raupen und Schmetterlingen. Und ich weiß, dass Nahrung für Schmetterlinge nicht genug ist, dass sie sich vermehren können. Sie brauchen auch Futterpflanzen für die Raupen und Winterquartiere.
In der heutigen Geschichte aus dem Lukasevangelium will ein Gelehrter von Jesus wissen, was er tun muss, um das ewige Leben zu bekommen. Jesus fragt ihn zurück, was er schon weiß. Und der Gelehrte sagt:
Du sollst den Herrn, deinen Gott, lieben
mit deinem ganzen Herzen und deiner ganzen Seele,
mit deiner ganzen Kraft und deinem ganzen Denken,
und deinen Nächsten wie dich selbst.
Jesus sagte zu ihm: Du hast richtig geantwortet.
Handle danach und du wirst leben!
Lukas 10, 25-37
Für Jesus ist es ganz einfach. Wissen muss auch umgesetzt werden in Taten.
Da ergibt sich für den Gelehrten eine neue Frage:
Und wer ist mein Nächster?
Was fällt dir auf diese Frage ein? Wer ist denn dir „Nächste“?
Deine Familie? Deine Freunde? Verwandte? Deine Lieblingstante? Oder die freundliche Nachbarin? Oder …?
Jesus erzählt eine Geschichte auf diese Frage. Du kennst die Geschichte vermutlich. Du kannst sie nachlesen im Lukas-Evangelium im Kapitel 10, Verse 25-37. Sie beginnt so:
Ein Mann ging von Jerusalem nach Jéricho hinab und wurde von Räubern überfallen.
Sie plünderten ihn aus und schlugen ihn nieder; dann gingen sie weg und ließen ihn halbtot liegen.
Zufällig kommt einer.
Er sah ihn und ging vorüber.
Und nochmal kommt einer.
Er sah ihn und ging vorüber.
Und nochmal kommt einer.
Er sah ihn und hatte Mitleid, ging zu ihm hin, goss Öl und Wein auf seine Wunden und verband sie. Dann hob er ihn auf sein eigenes Reittier, brachte ihn zu einer Herberge und sorgte für ihn.
Und am nächsten Tag gibt er dem Wirt Geld und sagt: Sorge für ihn, und wenn du mehr für ihn brauchst, werde ich es dir bezahlen, wenn ich wiederkomme.
Und jetzt macht Jesus etwas Ungewöhnliches: Jesus stellt die Frage des Gelehrten auf den Kopf. Jetzt heißt es nicht mehr: Wer ist mein Nächster? Jetzt fragt Jesus:
Wer von diesen dreien meinst du, ist dem der Nächste geworden, der von den Räubern überfallen wurde? Der Gelehrte antwortete: Der barmherzig an ihm gehandelt hat. Und Jesus sagt: Dann geh und handle du genauso!
Ich habe also keine Nächsten, die ich dann lieben soll, sondern ich werde zum Nächsten immer dann, wenn ich Mitleid habe und etwas tu, damit jemand leben kann.
Das gilt auch für kleine grüne Raupen und Wespen und anstrengende Brüder und launische Schwestern und …
Wir alle gehören zusammen in Christus. Das hören wir heute auch, in einem uralten Lied im Brief des Paulus an die Kolosser (Kapitel 1, 15-20).
Christus ist Bild des unsichtbaren Gottes,
der Erstgeborene der ganzen Schöpfung.
Denn in ihm wurde alles erschaffen im Himmel und auf Erden, …
Denn Gott wollte mit seiner ganzen Fülle in ihm wohnen …
In den Schmetterlingen und den Raupen, in den Sternen und den Sandkörnern … und in dir und in mir ist diese Fülle sichtbar. Vielleicht schreibst du ein eigenes Lied.
Zum Download: ABENTEUER AM SONNTAG 10. Juli 22 15. Sonntag im Jahreskreis
Text und Fotos : Michaela Wuggazer